15 Jahre L’Age D’Or / 8 Jahre Liebe - Eine persönliche Erinnerung
Yay! Nun sind die Feierlichkeiten zum 15-jährigen Geburtstag von L’Age D’Or doch tatsächlich schon anderthalb Monate her. Zeit also, auch hier bei Nillson noch einmal zu salutieren, persönlich dankzusagen und ein „Herzlichen Glückwunsch nachträglich!" auszusprechen. Eine kurze Geschichte von Glück und Musik...
Hui... wie schnell man doch älter wird. Nein nein, damit meine ich nicht das Hamburger Label L’Age D’Or, das mit seinen 15 Jahren ja mitten in der Pubertät steckt und sein ganzes Leben noch vor sich hat. Damit meine ich vielmehr mich selbst, der ich mich vor meinem geistigen Auge noch sehr lebhaft mit meinen besten Freunden draussen vorm Kölner E-Werk sitzen sehe, in freudiger Erwartung darauf, dass die Band Jonas die Feierlichkeiten zum 10. Geburtstag eben dieses Labels eröffnen würde. Einen kurzen Moment nachgedacht - und man wundert sich, wie schnell doch fünf Jahre verfliegen können.
Ja, das war damals im August 1998, und wir waren alle noch sechzehn und siebzehn - natürlich alle miteinander in Trainingsjacken und enge T-Shirts hipper Bands gezwängt. Mittendrin im Hype, süchtig nach all diesem Anderen, Intelligenten, Neuen, was „Lado" für uns ausmachte. Die Vorreiter der neuen Zeit, Tocotronic und Die Sterne, die gerade die ganze Popwelt auf den Kopf stellten, waren unsere Helden. Getroffen. Den nach Sinn lechzenden Nerv einer Generation? Zumindest meinen. Und den vieler anderer auch, wenn mich nicht alles täuscht. Ach, wie schön das war in dieser Zeit... Im Regen auf dem Fahrrad, an den Landstraßen der norddeutschen Provinz. Wenn man nur seinen Walkman auf den Ohren hatte, und Dirk seine nachdenklichen Weisen nölte.
„Wir kommen zusammen. Wir stehen nicht nur rum" (OZSWMK)
Da saßen wir also, und ich freute mich darauf, einmal mehr Tocotronic zu sehen, das große Sinnbild, für die ich die beiden Jahre zuvor auch Wege in Kauf genommen hatte, die für damalige Verhältnisse schon regelrechte Reisen waren. Immerhin hatte noch keiner von uns einen Führerschein. Aber schön war’s doch immer. Ob in der Sumpfblume in Hameln, auf dem Bizarrefestival 1996 oder wieder und wieder in Bremen, was damals noch die große weite Welt war. Und diesmal eben Köln. Zehn Jahre L’Age D’Or. Und noch mehr weite Welt.
Zuerst also Jonas, die ich damals zum ersten Mal sah und recht albern fand, denn Sänger Mathias Exler versuchte ein wenig zu offensichtlich in Gesang und Gestik den verblichenen Kurt Cobain zu ersetzen. Meine Meinung sollte sich spät(er) aber doch noch zum Wohlwollen ändern. Höre ich mir heute Songs wie Grubby oder Meek kann ich das verstehen, und sowohl die Suicide Sunday EP als auch das wundervolle Album September Sex Relationship sind tatsächlich kleine Klassiker im Lado-Backkatalog.
Weiterhin spielten an diesem Abend Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs, Die Aeronauten und die Überraschungsgäste Stella. Dass diese Bands heute alle gewissermaßen Klassiker der neueren deutschen Popgeschichte sind, haben sie sicher zu einem nicht geringen Teil ihrem Label zu verdanken, das selbst zur personifizierten Popkultur wurde. Auch wenn gerade diese drei Bands nicht den ganz großen kommerziellen Erfolg hatten, gelten sie vielen nach wie vor als Einfluss oder spielen Heldenrollen in Geschichten über schöne Nächte mit wunderbaren Menschen.
„I will never forget the night that we met." (Stella)
Mir standen die Haare zu Berge. Die Nacht im Frühling, kurz nachdem Toby Amies das Video einer deutschen Band namens Tocotronic anmoderierte. „Tocotronic, och nee, nich schon wieder so’n Elektrogefrickelquark aus UK...". Wie bei der später lange Zeit beglückenden Sendung Wah Wah wurden auch hier, bei Alternative Nation 1996, immer mal wieder Videos von Autechre, Add N to (x), Mouse on Mars & Co. gespielt. Das konnte mich zwar damals wie heute nur mäßig begeistern, aber ich hatte gerade keine Lust umzuschalten. Mal sehen, vielleicht ist ja wenigstens das Video gut. Uh! Gott sei Dank! Denn was dann kam, das war eine Initialzündung!
Drei Typen aus den 70ern machten Musik, die so leidenschaftlich und rotzig-poetisch daherkam, dass mir die Kinnlade herunterklappte. Da steht also jemand, sieht dir in die Augen und sagt allen ernstes: „Ich weiss nicht, wie konnte das geschehen, die Welt kann mich nicht mehr verstehen." Sowas persönliches hatte ich damals einfach noch nie gehört.
Aber wie merkwürdig... Die Ästhetik des Musikclips, die Frisuren, die Klamotten... Das konnte doch nicht von heute stammen! Andererseits: wenn dieser Song tatsächlich schon zwanzig Jahre oder älter sein sollte, was war dann schiefgelaufen, dass ich noch nie von Tocotronic gehört hatte? Und überhaupt, diese Musik klang so neu und frisch, das konnte einfach noch nicht so alt sein. Aber wo, das musste ich mich dann doch fragen, gibt es Leute, die in Trainingsjacken, Pullundern und Cordhosen herumliefen? Selbst die Schuhe... sowas gab es doch gar nicht mehr zu kaufen.
Tzja, ich war so jung und ahnungslos. Ich - in meinem Zimmer - im Haus meiner Eltern - im Dorf, dort im Nordwesten Deutschlands, unweit Ostfrieslands... Aber dann: Die Welt ruft. Hamburg ruft. Ab jenem Zeitpunkt wusste ich, dass da mehr war, als ich geahnt hatte. Das war ein Herzklopfen.
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Datum: 17.11.2003, 20:19 Uhr
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