Die Band MUTTER und ihr Konzert am 20.01.05 in der Weltbühne zu Hamburg
Mutter ist alt. Zu alt um noch ordentlich auf Tour zu gehen, wird gemunkelt. Umso erfreulicher, dass Mutter, die sonst vor allem in ihrer Heimatstadt Berlin Konzerte zu geben pflegt, es noch einmal nach Hamburg geschafft hat, ihren urgewaltigen, eindringlichen Sound auf der Weltbühne zu verbreiten.
Mutter nämlich hat nahezu schon 20 Jahre auf dem Buckel. Ihr erstes Album trug den Titel ICH SCHÄME MICH GEDANKEN ZU HABEN DIE ANDERE MENSCHEN IN IHRER WÜRDE VERLETZEN und dieser Satz kann als paradigmatisch gelten für das, was Mutter seither ausmacht. Getragen von wechselnder musikalischer Untermalung zwischen einerseits Brachialrock mit malmend lauten Gitarren, sägend-verzerrtem Bass und punktgenau-penetrantem Bombastschlagzeug sowie andererseits baladesk-schönen Popsongs darf man Sänger Max Müller dabei zuhören wie er sich selbst, scheinbar blattlos vor dem Mund, unmittelbar aus der Seele spricht. So direkt wie diese Lyrik irgendwo zwischem seelischem Striptease und geistiger Onanie aus ihm, mal geschrien, mal gesprochen, mal andächtig gesungen, zu sprudeln scheint, trifft sie bisweilen beim Zuhörer wie Salz in geistige Wunden und Tabus. Es geht ums Menschsein: Absurditäten und Abgründe, Endlichkeit und innere Widersprüche. Seine Ausdruckformen reichen dabei von morbiden Phantasien und peinlichen Beobachtungen aus menschlichem Alltag, bis zu wunderschön naiven Bekenntnissen über "Freunde und Freundinnen" oder dem slogantauglichen Ohrwurm "Die Erde wird der schönste Platz im All". Dabei versprüht Max Müller Charme und Ausdruck, der wie mein Konzertbegleiter bemerkte irgendwo zwischen Jim Morrison, David Bowie und Kristof Scheuf liegt (Allerdings wirklich nur irgendwo dort; mit einer derartigen Erwartung ein Mutterkonzert aufzusuchen dürfte enttäuschend oder zumindest erheblich verwirrend sein).
Der Mutter nicht unähnlich zeigte sich das Publikum. Als wir eintrafen war fast noch niemand da und auch als nach und nach Menschen eintrudelten blieben wir die Jüngsten. Außer uns vor allem ältere Herren, die der Mutter wohl schon seit Jahrzehnten die Treue halten. Nun, Mutter ist nicht modern, Mutter ist nicht easy und Mutter ist auch nicht sexy. Mutter ist also alles andere als das, worauf junge Hipster so abfahren. Muttermusik fällt schwer, sie ist bisweilen schwermütig und atonal, sie fordert einiges an Affinität zum Unschönen, zum Krach; dies sowohl in Sachen Musik als auch betreffs Max Müllers lyrischer Ergüsse. Man kann sich gut vorstellen, dass Mutter schon mehr Konzertsäle leergespielt als gefüllt hat. Zum Beispiel als sie vor einigen Jahren als Vorgruppe von Blumfeld linke Popspießer schocken durfte. (Jochen Distelmeyer von Blumfeld war im übrigen einst Trompeter(!) bei Mutter und spricht von ihr als "der fast weltbesten Band").
Das Konzert beginnt schließlich und wir lassen uns von Sound und Vision in einen gemeinschaftlichen Bann ziehen. Mutter hämmern, schreien und toben sich durch Songs, die vor allem von ihrem Album EUROPA GEGEN AMERIKA stammen. Max Müller performt dabei mal stoisch-starrend vor seinem Mikrofonständer, mal kompromittiert er sich auf dem Boden im Zuschauerraum wälzend zu ausuferndem Free-Doom-Metal-Jazz der Band - während er selbst gleichsam textlich ausufert. Bemerkenswerter Weise ohne, dass man dabei das Gefühl hat, er würde eine Rolle spielen. Zwischen den Stücke beginnt er plötzlich unvermittelt persönliche Geschichten über den Bassisten Kerl Fieser zu berichten oder bemerkt direkt nach dem ersten Song: "Danke, ihr seid das beste Publikum, das wir je hatten!".
Als das Konzert schließlich nach einem letzten, infernalischen Krachepos, bei dem noch einmal die nicht nur textliche, sondern gerade musikalische Raffinesse der Band deutlich wird, endet, haben wir das Gefühl: Das war es. Als die Musiker wider Erwarten die Bühne noch einmal betreten, bemerkt Max Müller, dass sie eigentlich aus Prinzip keine Zugaben geben. Vielleicht sind Mutter die erste Band, bei der mir dieser Gestus nicht arrogant, sondern konsequent vorgekommen wäre. Das Konzert war nach dem letzten Song derart abgeschlossen, vollzogen; genauso fertig, bedient waren wir mit dem Konzert, beeindruckt genug; es hätte wirklich keiner weiteren Beschallung bedurft.
Mutter haben, nach eigener Angabe: um nicht aus der Übung zu kommen, vor wenigen Monaten ein neues Album aufgenommen und bei Vinyl On Demand veröffentlicht. Es ist limitiert auf 500 Stück, nur als LP erhältlich, bemerkenswert schlecht aufgenommen und kommt mit einer Bonus-Platte voller Filmmusik von Max Müller. Es trägt den Titel CD DES MONATS. Es ist alles gut, Mutter.
Links zum Thema:
Nillson-News zu dem MUTTER-Dokumentarfilm "Wir waren niemals hier"
Mutters Homepage
Mutters Label "What's so funny about"
Vinyl On Demand
Max Müller
Datum: 29.01.2005, 14:50 Uhr
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